Im E-Commerce ist Tracking schon längst gang und gäbe. Online-Händler wissen ganz genau, was ihre Kunden suchen und was sie kaufen. Im stationären Einzelhandel sieht das bisher ganz anders aus. Zwar wird an der Kasse die Ware von den Mitarbeiter*innen des Geschäfts vor dem Bezahlvorgang i.d.R. noch einmal in die Hand genommen, aber bei der Masse an täglichen Kunden kann die Ware dem einzelnen Kunden nicht zugeordnet werden. Die meisten Kunden sind an der Kasse nur ein anonymes Gesicht. Und das Unternehmen selbst erfährt auch nicht, wer welchen Artikel kauft.
Amazon plant den Einstieg in das Ladengeschäft
Der Internetgigant und Datenriese Amazon plant gegenwärtig eigene Supermärkte zu eröffnen. Die Idee für „Amazon Go“ ist, dass die Kunden eine App auf ihr Smartphone laden, das Geschäft betreten und einfach ihre Einkäufe in ihrem Einkaufswagen oder -korb legen. Anschließend verlassen sie den Einzelhandel wieder – ohne an einer Kasse anstehen zu müssen.
Amazon betreibt für Testzwecke bereits einen Supermarkt in Seattle, an der US-Amerikanischen Westküste, in welchem Amazon-Mitarbeiter einkaufen können.
Wie das im Detail gehen soll? Da schweigt sich Amazon bisher noch aus. In den USA liegt bereits ein Patentantrag von Amazon für ein entsprechendes System vor, allerdings ist bisher noch nicht bekannt, wie die einzelnen Systeme eingesetzt werden sollen. Abgerechnet werden würde über die Amazon Go App, das steht bisher fest. Ansonsten sind wahrscheinlich eine Vielzahl von Sensoren nötig, die im Laden die Kunden auf Schritt und Tritt verfolgen – ein datenschutzrechtlicher Albtraum. Denn Kameras im Geschäft müssten nicht nur die Laufwege der Kunden erfassen können, sondern auch jeden Griff ins Regal. Dabei müssten diese Sensoren weiterhin unterscheiden können, ob ein Kunde die Ware auch tatsächlich mitnimmt, oder wieder zurückstellt.
Eine Datenkrake sondergleichen
Ein solcher Supermarkt wäre eine nie dagewesene Datenkrake. Denn damit Tracking im Einzelhandel funktionieren könnte, müssten buchstäblich personenbezogene Daten aus fast allen Kategorien erfasst werden. Anders als ein Online-Shop, der nur Name, Adresse und Bankverbindung von seinen Kunden kennt, würde ein kassenloser Supermarkt noch viel mehr über seine Kunden wissen.
Damit das System funktioniert, müssten weitere personenbezogene Daten erfasst werden, auf die der E-Commerce bisher keinen Zugriff hatte. Dazu gehört vor allem, aber nicht zuletzt, dass Aussehen der Person.
Besonders das der riesige E-Commerce-Player Amazon einen solchen Supermarkt plant, ist besorgniserregend. Allein in Deutschland hat Amazon 44 Millionen Kunden – das ist jeder zweite Deutsche überhaupt. Zieht man Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren von der Gesamtbevölkerung ab (die nur selten Amazon-Kunden sein dürften), sind 60 Prozent der Deutschen Amazon Kunden.
Wenn das Unternehmen aus den USA mit seinen Amazon Go Supermärkten in Deutschland auftritt, wird die Firma von Jeff Bezos so gut wie alle personenbezogenen Daten von seinen Kunden sammeln können.
Datenschutzexperten schlagen Alarm
Nicht nur der frühere Bundesdatenschutzbeauftrage Peter Schaar sieht diese Entwicklung skeptisch. Denn er fürchtet genau die oben beschriebene Entwicklung. Amazon könnte mit diesem System so gut wie alle personenbezogenen Daten erfassen, ohne das es für die Kunden von Amazon möglich ist, nachzuvollziehen, was mit ihren Daten geschieht. Das ist bereits beim E-Commerce-Modell von Amazon schwierig – und wäre bei einem Offline-Amazon fast unmöglich.
Die Technik hinter einem kassenlosen Supermarkt könnte Daten sammeln, die sich bisher Händler wie Amazon nur erträumen konnten. Es beginnt mit Bewegungsprofilen im Supermarkt und endet womöglich bei einer Verfolgung von Emotionen anhand des Gesichtsausdrucks beim Kauf.
Das Konzept ist nicht DSGVO-Kompatibel
Das europäische Datenschutzrecht, vielfach als kompliziert oder als zu weit gehend kritisiert, bildet einen Gegenpol zu einem immer weiter reichenden Vordringen von Konzernen in die Privatsphäre ihrer Kunden. In Europa werde Amazon Probleme haben, das Konzept im Einzelhandel umzusetzen, schätzt Schaar.
Denn eine der wichtigsten Grundlagen für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist, dass eine Verarbeitung der Daten notwendig ist, um einen Vertrag zu erfüllen (Art. 6 Abs. 1 S.1 lit b DSGVO). Diese Voraussetzung ist laut Schaar allerdings bei einem kassenlosen Supermarkt nicht gegeben. Deswegen wäre eine ausdrückliche Einwilligung der Kunden nötig, damit Amazon die Daten überhaupt verarbeiten dürfte. Solange die Kunden aber nicht überblicken können, wie ihre Daten verarbeitet werden, ist eine solche Einwilligung nicht wirksam.
Welche negativen Konsequenzen drohen den gläsernen Kunden?
Das Konzept von Amazon Go ist vielleicht nur ein weiterer Schritt in der erfolgreichen Strategie Amazons, seinen Kunden immer mehr Bequemlichkeit anzubieten. Das geschieht natürlich meistens im Austausch gegen personenbezogene Daten. Die Idee eines kassenlosen Supermarkts ist natürlich verlockend – wer steht schon gern Schlange an der Kasse?
Aber so bequem die Idee für den Kunden ist, desto gefährlicher kann sie auch sein. Denn im E-Commerce wird bereits aktiv mit den Kundendaten gearbeitet, um höhere Gewinne zu erzielen. Online Händler tracken das Suchverhalten ihrer Kunden und erkennen so, wenn sich ein Kunde besonders für ein Produkt interessiert. Dieses Interesse nutzen erste E-Commerce-Akteure bereits aus, um für diesen speziellen Kunden die Preise zu erhöhen. Diese Preisdiskriminierung kostet Kunden bares Geld – hier wird der Sinn von Datenschutz für jeden mehr als deutlich.
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