Erbrecht und Digitalisierung:
Widerspruch oder Kongruenz? Kasuistik oder Abstraktheit?
„Ein neues Gesetz für ein neues Jahrhundert“
Als Rechtsnorm versteht man eine gesetzliche Regelung generell-abstrakter Natur. Die Abstraktheit resultiert daraus, dass die Norm für eine unbestimmte Anzahl von Sachverhalten wirkt. Das wäre die Antwort auf die Frage eines juristischen Laien: „Was ist ein Gesetz?“.
Doch ist die Abstraktheit eines Gesetzes kein newtonsches Axiom, sondern das Ergebnis menschlicher und im Optimalfall pflichtbewusster Parlamentsarbeit. Die Abstraktheit gilt also nicht absolut und hat Grenzen.
Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing, Social Media: Die Entwicklung schreitet rasend voran und stellt diese Abstraktheit bzw. das Recht vor große Herausforderungen. Die Gesetzgebung im Bereich digitaler Entwicklung steht nicht selten vor dem Dilemma, dass gesetzliche Regelungen bei deren Inkrafttreten schon wieder „technisch veraltet“ sind oder einzelne „Gesetzes-Updates“ bereits bestehender Rechtsvorschriften nicht ausreichen um digitalen Innovationen Herr zu werden. Letzteres erscheint vor allem diskutabel, wenn man beispielweise bedenkt, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) im Jahr 1896 verkündet wurde und am 1.1.1900 in Kraft trat. Es sollte „Ein neues Gesetz für ein neues Jahrhundert“ sein. Mittlerweile ist das 20. Jahrhundert vorübergezogen und es stellt sich die Frage: Ist das BGB leistungsfähig genug, um die Herausforderung der digitalen Welt zu meistern oder ist etwa die Abkehr in die Kasuistik die Lösung?
Das ist keine bloß theoretische Frage. Der BGH musste im Jahr 2018 und 2020 eine praktische Antwort auf die Frage finden, inwieweit das Erbrecht (§§ 1922–2385 BGB) den digitalen Fortschritt mitgehen kann (BGH, Urt. v. 12.07., Az. III ZR 183/17; Beschl. v. 27.08.2020, Az. III ZB30/20). Mit anderen Worten: Gibt es ein Recht auf das digitale Erbe? Der 3. Zivilsenat leistet hier wertvolle Rechtsfortbildung und beweist gleichzeitig damit, wie leistungsstark das BGB (immer noch) ist.
Sachverhalt
Zum Sachverhalt: Kläger waren die Eltern eines 15-jährigen Mädchens (im Folgenden: Erblasserin) das am Abend des 3.12.2012 unter bisher ungeklärten Umständen tödlich verunglückte.
Bereits im Jahr 2011 registrierte sich die Erblasserin unter Erlaubnis der Eltern auf Facebook. Nach dem Tot der Erblasserin erhofften sich die Eltern durch den Zugriff auf den Facebook-Account eventuell mehr über die Umstände des Todes ihrer Tochter in Erfahrung zu bringen. Facebook setzte den Account der Erblasserin am 9.12.2012 in den sogenannten „Gedenkzustand“. Dadurch konnten sich die Eltern trotz den ihnen bekannter Zugangsdaten nicht mehr in den Account der Erblasserin einloggen. Darauffolgend verklagten die Eltern den Betreiber Facebook Ireland Limited (im Folgenden: Facebook) auf vollständigen Zugang zu dem Benutzerkonto.
Vorherige Instanzen
Das LG Berlin urteilte zunächst zu Gunsten der Eltern (Urteil vom 17.12.2015, Az. 20 O 172/15). In 2. Instanz entschied das KG Berlin für Facebook und wies die Klage der Eltern ab (Urt. v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16). Über die Revision der Eltern entschied anschließend der BGH (BGH, Urt. v. 12.07., Az. III ZR 183/17).
Im Folgenden sollen die wichtigsten rechtlichen Aspekte erörtert werden.
Erbe, Erbfall und Erbschaft
Die Eltern könnten durch einen Erbfall den vertraglichen Anspruch der verstorbenen Tochter gegen Facebook auf vollständigen Zugang zu dem Benutzerkonto mittels § 1922 Abs. 1 BGB erhalten haben. Danach geht mit dem Tode einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. Durch den Tod der 15-jährigen Tochter ist ein Erbfall eingetreten. Die Erben-Stellung der Eltern ergibt sich aus § 1925 Abs. 1, 2 BGB. Über geht nach dem Gesetz die Erbschaft, also das Vermögen des Erblassers. Dazu zählen alle Rechte und Verbindlichkeiten des Erblassers. Mit dem Tod eines Menschen gehen also sämtlich Rechtsbeziehungen auf den Erben über. Ursprünglich hatte die Tochter, unter Einwilligung ihrer Eltern, mit Facebook einen wirksamen schuldrechtlichen Vertrag über die Einrichtung und Nutzung eines Nutzerkontos geschlossen. Der Facebook-Nutzungsvertrag ist ein nicht speziell geregelter Vertrag. Seine Zulässigkeit ergibt sich jedoch nach § 311 Abs. 1 BGB als Vertrag mit miet-, dienst- und werkvertraglichen Elementen. Aus diesem Vertrag stand der Tochter ein Anspruch auf Zugang und Nutzung ihres Kontos zu. Der Facebook-Nutzervertrag ist eine rechtliche Beziehung. In diese müssten folglich im Grundsatz die Eltern als Erben eintreten, wodurch die Eltern auch Inhaber des Anspruchs auf Zugang zum Konto werden. Jedoch weißt der Vertrag einige rechtliche Besonderheiten auf, die die Vererblichkeit ausschließen könnten.
Persönlichkeitsbezogenheit
Die Vererblichkeit könnte aufgrund eines persönlichkeitsbezogenen Rechtes ausgeschlossen sein. Vorliegend enthält die digitale Hinterlassenschaft der Erblasserin zum einen Rechtspositionen, die im Wege des § 1922 BGB relativ unproblematisch auf den Erben als den Rechtsnachfolger übergehen, so beispielweise die im Eigentum des Erblassers stehende Hardware, wobei das Eigentum an dem Speichermedium auch die rechtliche Zuweisung der darauf gespeicherten Daten umfasst. Im Hinblick auf Daten persönlichen Inhalts ist jedoch umstritten, ob dem Erben der Zugang zu solchen Daten eröffnet werden soll. Teilweise wird eine Differenzierung der Vererbbarkeit nach dem Inhalt des Benutzerkontos gefordert. Demnach sollen zwar E-Mails respektive Nachrichten in einem sozialen Netzwerk mit vermögensrechtlichem Bezug vererbbar sein. Nicht vererbbar sollen hingegen solche mit nichtvermögensrechtlichem, insbesondere höchstpersönlichem Inhalt. Diese Ansicht führt jedoch weiter aus, dass das Andenken an den Verstorbenen und die für das postmortale Persönlichkeitsrecht erheblichen Informationen nicht den Erben, sondern den nächsten Angehörigen des Erblassers zuzuleiten sind. Vorliegend waren die Eltern der verstorbenen die nächsten Angehörigen, somit käme diese Ansicht im Ergebnis zum gleichen Ziel. Nichtsdestotrotz überzeugt die differenzierende Ansicht nicht. Nach der gesetzgeberischen Wertung gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten unabhängig von einem Vermögenswert auf die Erben über. Das ergibt sich nämlich aus § 2047 Abs. 2 BGB und § 2373 Satz 2 BGB. Diese Bestimmungen enthalten zwar keine unmittelbare Regelung über die Vererbbarkeit höchstpersönlicher Rechtspositionen. Jedoch setzen sie diese voraus und gebieten damit den Rückschluss auf deren Vererbbarkeit und darauf, dass das Gesetz insoweit nicht zwischen höchstpersönlichem und vermögenswertem Nachlass differenziert. In § 2047 Abs. 2 BGB ist geregelt, dass Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers beziehen, nicht verteilt werden, sondern gemeinschaftlich bleiben. § 2373 Satz 2 BGB regelt, dass Familienschriften und Familienbilder beim Erbschaftskauf nicht als mitverkauft zu qualifizieren sind. Beide Vorschriften setzen also logisch voraus, dass diese höchstpersönlichen Dokumente zur Erbmasse gehören. Unstreitig werden also höchstpersönliche analoge Dokumente, z.B. Tagebücher und Briefe, vererbt. Ein sachlicher Grund, wieso digitale Inhalte erbrechtlich anders behandelt werden sollen als analoge ist nicht ersichtlich.
Analoge Anwendung § 399 BGB
Die Unvererblichkeit des Vertrages könnte sich jedoch aus dem Wesen des Vertrages selbst ergeben. Gemäß §399 BGB kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. In analoger Anwendung könnte die Vererblichkeit ausgeschlossen sein, wenn die vertraglichen Leistungen an einen anderen, also vorliegend den Erben bzw. Eltern, nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erbracht werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Inhalt des Rechts in einem solchen Maß auf die Person des Berechtigten oder des Verpflichteten zugeschnitten ist, dass bei einem Subjektwechsel die Leistung in ihrem Wesen verändert werden würde. Fraglich ist, ob das auf den Facebook-Nutzervertrag zutrifft. Da die Tochter keine eigene Leistung zu erbringen hat, ist auf die von Facebook geschuldete Leistung abzustellen. Facebook verpflichtet sich gegenüber dem Vertragspartner, die Kommunikationsplattform zur Verfügung zu stellen und auf Auftrag des Nutzers Inhalte zu veröffentlichen oder Nachrichten an ein anderes Benutzerkonto zu übermitteln sowie die übermittelten Nachrichten respektive die mit diesem Konto geteilten Inhalte zugänglich zu machen. Somit handelt es sich um rein technische Leistungen, die nicht personenbezogen sind. Anders als etwa bei einem Behandlungsvertrag mit einem Arzt, können diese unverändert auch gegenüber den Erben erbracht werden. Somit steht § 399 BGB analog der Vererbbarkeit nicht entgegen.
Entgegenstehende Facebook-Nutzungsbedingungen
Fraglich ist, ob der Inhalt bzw. die Gestaltung des Facebook-Nutzervertrages der Vererbbarkeit entgegensteht. Die Privatautonomie lässt solch eine Vereinbarung unter Beachtung gesetzlicher Regelungen, wie zum Bespiel den §§305 ff. BGB, zu.
Jedoch wurde zwischen der Tochter und Facebook keine Regelung vereinbart, die die Vererblichkeit ausschließt. Der Vertrag enthält Regelungen zum Verhalten des Facebook-Nutzer zu Lebzeiten. Diese treffen jedoch keine Aussage bezüglich des Todesfalles.
Zukünftig ist wohl zu erwarten, dass Provider versuchen werden, die Vererbbarkeit der bei Ihnen gespeicherten Daten in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) generell auszuschließen. Ein besonderes Augenmerk sollte deswegen auf die AGB-Kontrolle nach §§305 ff. BGB geworden werden.
Gedenkzustand
Wieso ein besonderes Augenmerk auf die Regelungen gemäß §§ 305 ff. BGB geworfen werden sollte, zeigt auch die (vermeintliche) Vereinbarung über den Gedenkzustand:
Aus diesem könnte sich nämlich ein faktischer Ausschluss der Vererblichkeit ergeben. Gemäß §305 Abs. 1 S. 2 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Nach §305 Abs. 2 werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss die andere Vertragspartei ausdrücklich oder, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, durch deutlich sichtbaren Aushang am Orte des Vertragsschlusses auf sie hinweist und der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, die auch eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen, und wenn die andere Vertragspartei mit ihrer Geltung einverstanden ist. Fraglich, ob die AGB bezüglich des Gedenkzustands den Voraussetzungen nach § 305 Abs. 2 BGB entsprechen. Vorliegend befanden sich die AGB bezüglich des Gedenkzustands lediglich im Hilfebereich des Sozialen Netzwerks. Hierauf wurde jedoch weder in den Nutzungsbedingungen noch auf eine andere vertretbare Art und Weise im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hingewiesen. Somit sind die die AGB bezüglich des Gedenkzustands nicht Vertragsbestandteil geworden. Somit ergibt sich daraus auch kein Ausschluss der Vererblichkeit. Doch auch wenn die AGB bezüglich des Gedenkzustands Vertragsbestandteil nach § 305 Abs. 2 BGB geworden wären, müssten diese immer noch einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB standhalten. Gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB dürfte keine unangemessene Benachteiligung vorliegen. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Klauseln gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sind. Zwar führt der Gedenkzustand nicht dazu, dass eine Vererbbarkeit ausgeschlossen wird. Grundgedanke des §1922 BGB ist aber, dass die Erbschaft und damit auch das gesamte Schuldverhältnis mit allen Rechten und Pflichten übergeht. Die Eltern würden über §1922 BGB zwar in den Vertrag eintreten, jedoch würde durch den Gedenkzustand der Zugang zum Konto verwehrt werden und im Ergebnis der Grundgedanke des §1922 BGB ausgehöhlt werden. Folglich halten die Regelungen des Gedenkzustands in jedem Fall nicht der Inhaltskontrolle nach §§307 ff. BGB stand.
Postmortales Persönlichkeitsrecht
Eventuell könnte das postmortale Persönlichkeitsrecht der Erblasserin der Vererbbarkeit entgegenstehen. Dieses wird aus der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Das postmortale Persönlichkeitsrecht dient dem Schutz des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Menschseins zusteht, und des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Fraglich ist, ob das das postmortale Persönlichkeitsrecht ein dem Erbrecht vorgehendes Recht der nächsten Angehörigen an den höchstpersönlichen digitalen Inhalten begründet, dass der Vererbbarkeit entgegensteht und diese ausschließt. Vorliegend sind jedoch die Eltern die nächsten Angehörigen. Somit hindert das postmortale Persönlichkeitsrecht nicht die Vererblichkeit wäre. Jedoch würde die Vererblichkeit auch dann nicht gehindert werden, wenn der Sachverhalt ein anderer wäre. Obwohl postmortale Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, ist es ein subjektives Privatrecht, das Schranken unterliegt. Zu diesen Schranken Erbrecht, Art. 14 Abs. 1 GG. Somit begründet das postmortale Persönlichkeitsrecht keinen den Angehörigen vorgehendes Recht an den höchstpersönlichen digitalen Inhalten.
Fernmeldegeheimnis im Sinne des § 88 Abs. 3 S. 1 TKG
Dem Zugang zu den Kommunikationsinhalten könnte jedoch das Fernmeldegeheimnis nach § 88 Abs. 3 S. 1 TKG entgegenstehen. Danach ist den nach § 88 Abs. 2 TKG Verpflichteten untersagt, anderen Kenntnis vom Inhalt der Telekommunikation zu verschaffen. Fraglich ist, ob die Eltern bzw. die Erben „andere“ im Sinne des §88 Abs. 3 S. 1 TKG sind. Andere im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG sind Personen, die nicht an dem geschützten Kommunikationsvorgang beteiligt sind. Die Beteiligten eines Telekommunikationsvorgangs sollen davor bewahrt werden, dass der Inhalt Dritten, die an dem Vorgang nicht beteiligt sind, zugänglich wird. Der Kommunikationsvorgang wird durch den Erbfall nicht beendet. Im Zeitpunkt des Erbfalles wird der Erbe Beteiligter der Kommunikation und ist genießt sogar den Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Somit sind die Eltern nicht „andere“ sondern Beteiligte an der Kommunikation.
Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
Dem Anspruch könnten zuletzt die Regelungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entgegenstehen. Facebook könnte die Weitergabe der Daten in Form des Inhalts des Nutzer-Kontos über Art. 6 Abs. 1 DSGVO untersagt sein. Hierfür müsste eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der DSGVO vorliegen. Mit dem Zugang zum Benutzerkonto des Erblassers erhalten die Eltern die Möglichkeit, auf die Kommunikation und sonstigen Inhalte zuzugreifen. Sowohl die Nachrichten als auch die veröffentlichten Inhalte können personenbezogene Daten darstellen. Facebook ist in den Kommunikationsprozess insoweit eingebunden, als sie die Nachrichten zum Abruf für das Empfängerkonto bereitstellt sowie den Zugriff auf die geteilten Inhalte ermöglicht und die entsprechende Plattform zur Verfügung stellt. Dabei verarbeitet Facebook notwendigerweise die in den Inhalten enthaltenen sowie für die Bereitstellung erforderlichen Daten des jeweils kommunizierenden oder veröffentlichenden Nutzers. Nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO ist eine solche Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn Facebook sein Handeln auf eine Verarbeitungserlaubnis stützen kann. Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO gestattet eine Datenverarbeitung, wenn sie zur Erfüllung eines Vertrages erforderlich ist. Die Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten bzw. geteilten Inhalten der Kommunikationspartner an das Benutzerkonto erfolgt in Erfüllung einer gegenüber diesen bestehenden vertraglichen Hauptleistungspflicht. Denn nach dem Inhalt des Nutzungsvertrags zwischen der Facebook und den Nutzern ist die Bereitstellung und Übermittlung von Nachrichten und sonstigen Inhalten an das vom jeweiligen Absender benannte Empfängerkonto wesentliche Vertragspflicht von Facebook. Die notwendigerweise damit einhergehende Verarbeitung der in den Inhalten enthaltenen oder für die Bereitstellung benötigten Daten der Kommunikationspartner ist für die Erfüllung dieser Hauptleistungspflicht erforderlich im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO. An der Berechtigung der Datenverarbeitung nach der genannten Vorschrift ändert sich auch durch den Eintritt des Erbfalls nichts. Facebook macht weiterhin entsprechend ihrer Verpflichtung einerseits gegenüber dem Absender beziehungsweise Teilenden und andererseits gegenüber dem Berechtigten des Empfängerkontos die Inhalte für das betreffende Benutzerkonto zugänglich. Somit liegt eine Erlaubnis in Form von Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO vor. Die Regelungen der DSGVO stehen dem Anspruch also nicht entgegen.
Ergebnis
Somit haben die Eltern einen Anspruch auf Zugang zum vollständigen Account ihrer verstorbenen Tochter gegen Facebook aus §1922 Abs. 1 BGB.
Beschluss v. 27.08.2020, Az. III ZB30/20
In einem Beschluss entschied der BGH nun auch, dass die Übergabe eines USB-Sticks mit einer 14.000 seitigen PDF-Datei nicht ausreicht. Vielmehr legt der BGH den Begriff „Zugang“ dahingehend aus, dass die Erben bzw. Eltern in das Konto „hineingehen können“ müssen. Das bloße Übermitteln der Inhalte genügt nicht.
Kasuistik: (k)eine Lösung
Das Urteil zeigt, wie leistungsstark das BGB auch in Anbetracht der digitalen Herausforderungen ist.
Nichtsdestotrotz sind zukünftig flexiblere Instrumente der Gesetzregelung anzudenken. Dies könnte zu Problemen bezüglich der Bestimmtheit führen (abgeleitet aus dem Gebot der Rechtssicherheit, hergeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG).
Der Gesetzgeber steht vor schwierigen Gradwanderungen. Eventuell lohnt sich ein Blick in andere Rechtssysteme. Die Lösung könnten Rechtsordnungen mit verstärkt kasuistischen Elementen darstellen. Kasuistik ist eine Rechtsordnung, in der sich die aktuelle Rechtslage nicht nach abstrakten Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen) richtet, sondern nach früheren Gerichtsentscheidungen (Präjudizien). Kasuistik ist von Richterrecht geprägt und nicht von Gesetzesrecht.
Solch eine Systematik scheint jedoch wohl keine Abhilfe zu schaffen. Die (alten) Kritikpunkte der Kasuistik bleiben: Vor allem Unübersichtlichkeit.
In Anbetracht der Regelungsflut, die sich mit der Digitalisierung anbahnt, sind Prinzipienorientierte Standards und Abstraktheit der richtige Weg.
Das BGB ist auch ein Gesetz für das 21. Jahrhundert.